Tito

Tito
Tito
 
[serbokroatisch 'titɔ], Josip, eigentlich J. Broz [brɔːz], jugoslawischer Politiker und Marschall (seit 1943), * Kumrovec (Kroatien) 25. 5. 1892, ✝ Ljubljana 4. 5. 1980; Kroate; Mechaniker, geriet 1915 als Feldwebel der österreichisch-ungarischen Armee in russische Gefangenschaft; schloss sich 1918 der Roten Armee an. 1920 nach Kroatien zurückgekehrt, beteiligte er sich dort am Aufbau der KP und war nach deren Verbot (1921) mehrfach in Haft, zuletzt 1928-34. Danach Mitglied des ZK, dann auch des Politbüros der KP, 1935 Mitarbeiter der Balkansektion der Komintern, arbeitete er unter verschiedenen Tarnnamen (am häufigsten: Tito) im Untergrund. Von der Komintern 1937 zum Generalsekretär der jugoslawischen KP ernannt (1940 von dieser gewählt), organisierte er die illegalen Kader und übertrug jungen Parteiaktivisten wie E. Kardelj, M. Djilas und A. Ranković Führungsaufgaben.
 
Nach dem deutschen Angriff auf die UdSSR (22. 6. 1941) organisierte Tito von seinem Hauptquartier in Užice aus den kommunistischen Widerstand gegen die deutschen und italienischen Streitkräfte, die ab April 1941 Jugoslawien besetzt hielten. Tito verband seinen Aufruf zum allgemeinen Aufstand in Jugoslawien mit dem Versprechen, nach Wiederherstellung eines unabhängigen jugoslawischen Staates allen jugoslawischen Nationalitäten eine gleichberechtigte Stellung zu geben. Gestützt auf die rasch wachsende kommunistische Partisanenarmee, suchte er in den von ihr kontrollierten Gebieten, v. a. im Bereich von Užice, einen revolutionären Staat nach marxistisch-leninistischem Muster zu errichten. Er geriet damit in Konflikt mit der jugoslawischen Exilregierung und den von D. Mihailović geführten Četnici. Durch eine deutsche Offensive im November 1941 aus der Region von Užice vertrieben, konnte Tito mit seinen Partisanenverbänden ab 1942 v. a. in Bosnien eine neue militärische Plattform errichten, sich dort gegen verschiedene deutsche Offensiven behaupten und zugleich konkurrierende Widerstandsgruppen, besonders die Četnici, aufreiben. Am 26./27. 11. 1942 berief er in Bihać einen »Antifaschistischen Volksbefreiungsrat« (AVNOJ) ein; er selbst trat an die Spitze eines »Antifaschistischen Volksbefreiungskomitees«. Nach dessen Umbildung in eine provisorische Regierung (Jajce; 29. 11. 1943) wurde er Ministerpräsident; über die Zahl der Opfer des folgenden innerjugoslawischen Bürgerkriegs zwischen Tito-Partisanen, Četnici, Ustascha u. a. nationalen Kräften, im Grenzgebiet von Triest (Italien) sowie bei der blutigen Vertreibung der Jugoslawiendeutschen (1944-48) besteht keine abschließende Klarheit.
 
Seit der Umformung Jugoslawiens zur »Föderativen Volksrepublik Jugoslawien« (29. 11. 1945 wurde Tito als Generalsekretär der KP (seit 1952 »Bund der Kommunisten Jugoslawiens«, BdKJ), Ministerpräsident (1943-53) und Staatspräsident (seit 1953; 1963 auf Lebenszeit gewählt) die beherrschende Persönlichkeit in Partei und Staat. Als Tito in seiner Gesellschaftspolitik eigene Vorstellungen entwickelte und in seiner Außenpolitik sowjetische Hegemonieansprüche zurückwies, kam es 1948 zum Bruch mit Stalin, der ihn v. a. mithilfe des Kominform zu stürzen versuchte. Auch Pläne Titos, die Balkanstaaten stärker - etwa im Rahmen einer Balkanföderation - miteinander zu verbinden, stießen auf das Misstrauen Stalins. Unter Betonung des Rechts eines jeden Landes auf den »eigenen Weg zum Sozialismus« entwickelte Tito ein in der Verfassung von 1953 festgeschriebenes Modell einer sozialistisch bestimmten (Arbeiter-)Selbstverwaltung der Wirtschaft (Titoismus). Mit der Annäherung an die westlichen Staaten (besonders die USA) suchte er dem sowjetischen Versuch einer Wirtschaftsblockade gegen Jugoslawien zu begegnen. Nach dem sowjetisch-jugoslawischen Ausgleich (1955) gewann er großes internationales Ansehen als einer der Sprecher der blockfreien Staaten. - Innenpolitisch setzte der selbstherrlich herrschende Tito einerseits oft mit großer Härte den Repressionsapparat seines diktatorischen Regierungssystems ein, z. B. gegenüber innerparteilichen Kritikern wie Djilas oder im »kroatischen Frühling« 1971; andererseits suchte er mit Verfassungsreformen (1963 und 1974) durch größeren Föderalismus historische Konfliktpotenziale abzubauen, kompensierte dies aber durch den Zentralismus der stark von Serben bestimmten Partei- und Staatsbürokratie in Belgrad. - Da Tito in seiner Person die Einigkeit und Unabhängigkeit des Vielvölkerstaats verkörpert hatte, wurden nach seinem Tod die nationalen Fliehkräfte wieder wirksam (u. a. Föderalisierung des BdKJ) und führten 1989-91/92 zum Zusammenbruch Jugoslawiens in der von Tito geprägten Form.
 
Ausgabe: Der jugoslawische Weg. Sozialismus und Blockfreiheit. Aufsätze und Reden, übersetzt von M. G. Radulović u. a. (1976).
 
 
G. Prunkl u. A. Rühle: J. B.-T. (17.-21. Tsd. 1980);
 M. Djilas: T. (a. d. Serbokroat., Neuausg. 1982);
 
Jugoslawien am Ende der Ära T., hg. v. K.-D. Grothusen u. a., 2 Bde. (1983-86);
 
Krieg in Jugoslawien. Vom titoist. Sonderweg zum nationalist. Exzeß, hg. v. C. Samary (a. d. Frz., 1992);
 J. Ridley: T. (London 1994);
 R. West: T. and the rise and fall of Yugoslavia (ebd. 1994);
 L. M. Rees: Keeping T. afloat. The United States, Yugoslavia, and the Cold War (University Park, Pa., 1997).

Universal-Lexikon. 2012.

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